Offener Brief von Hydra e.V. zur Sendung Menschen bei Maischberger: Ob Billigsex oder Edelpuff: Schafft Prostitution ab!
Sehr geehrte Frau Maischberger,
in Ihrer Sendung „Menschen bei Maischberger“ vom 13.03.2012 haben Sie und Ihre Gäste darüber diskutiert, was sich zehn Jahre nach Einführung des Prostitutionsgesetzes in der Sexarbeitsbranche verändert hat. Erwartet hatten wir eine ernsthafte Debatte zu einem wichtigen Thema, das viele von uns persönlich betrifft. Doch was Sie uns da präsentierten, war erschreckend uninformiert und unerträglich tendenziös. Wir erlebten eine Diskussion, die von den Prostitutionsgegnerinnen beherrscht wurde und eine ModeratorIn, die in erster Linie an einer Emotionalisierung des Themas interessiert war. Die falsche Zahlen und Fakten nicht korrigierte und nicht eingriff, wenn andersdenkende Gäste mit Zwischenrufen, persönlich abwertenden Bemerkungen oder Niederbrüllen am Reden gehindert wurden. Die der Ehefrau eines Prostitutionskunden nicht nur eine Plattform gab, um ihre verletzten Gefühle kundzutun, sondern auch jede Menge Unsinn zum Thema Huren, Sexarbeit und Kondombenutzung zu verbreiten. Das, Frau Maischberger, hat nicht mal mehr entfernte Ähnlichkeit mit einer fairen Debatte. Das ist Desinformation, moralistische Stimmungsmache und mediale Effekthascherei.
Kritik am Prostitutionsgesetz und an den Realitäten der Branche können diejenigen am besten üben, die das Metier aus erster Hand kennen. Doch die Vorurteile und Schreckensszenarien, die leider immer noch die öffentliche Wahrnehmung der ganzen Branche prägen, wurden uns wie so oft mal wieder aus zweiter Hand präsentiert. Frau Maischberger, wir wollen nicht länger Projektionsfläche für Moralpanik und altfeministische Empörungsdiskurse sein. Wir können die Sprachklischees nicht mehr hören, die besagen, dass „Männer Frauen kaufen“ oder dass wir „unsere Körper verkaufen“. Wir haben es satt, dass man uns Blauäugigkeit unterstellt, wenn wir der Sexarbeit selbstbestimmt, gern oder wenigstens ohne größere Probleme nachgehen. Wir empfinden es als eine Verletzung unserer Menschenwürde, wenn branchenfremde oder interessegeleitete „Expertinnen“ uns die Probleme regelrecht einreden. Der Gipfel der Heuchelei aber ist, uns mit der Forderung nach einem Prostitutionsverbot die Existenzgrundlage unter den Füßen wegziehen zu wollen und dabei auch noch so zu tun, als sei dies in unserem Interesse.
Wir möchten Sie und alle interessierten Medien auffordern, das Thema Prostitution sachorientierter, differenzierter und mit mehr Respekt anzugehen. Statt oberflächlicher Milieu-Reportagen und moralistischer Opfer- und Verbotsdiskurse brauchen wir Respektkampagnen. Die Prostitution ist Teil unserer sexuellen Kultur. Sie verbieten zu wollen ist nicht nur unrealistisch, sondern ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht aller, die ihr ohne Zwang und Gewalt nachgehen. Man verbietet ja auch nicht die Ehe, nur weil in manchen Ehen Gewalt herrscht. Niemand bestreitet, dass die Zustände nicht in allen Teilbereichen unserer Branche ideal sind. Wenn es etwas zu verbessern gibt, so sind wir die ersten, die daran ein Interesse haben. Aber wir fordern:
* eine faire, an Fakten und belastbarem Zahlenmaterial orientierte
Berichterstattung und
* eine Debatte, die nicht von Moralaposteln beherrscht wird, die
sich das Recht herausnehmen, in unserem Namen zu sprechen
Die Sexarbeit ist ein faszinierendes und vielschichtiges Thema. Es gibt viele Möglichkeiten, nach den gängigen journalistischen Standards darüber zu berichten: unabhängig, sorgfältig, ausgewogen, hintergründig. Übrigens: Zehn der krassesten Klischees und Fehlinformationen, die in Ihrer Sendung unwidersprochen blieben, haben wir im folgenden Fakten-Check richtiggestellt. Für Ideen, Kommentare und Rückfragen stehen wir jederzeit gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Gruessen, Die Hydra-Frauen
***
Fakten-Check
1. Prostitution und Menschenhandel seien untrennbar.
Um ein realistisches Bild von der Sexarbeitsbranche zu erhalten, kommt man nicht umhin, beides getrennt zu betrachten. Prostitution bezeichnet eine mittlerweile nicht mehr sittenwidrige Dienstleistung. Menschenhandel dagegen ist ein Straftatbestand, dessen Definition in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ausgeweitet wurde. Trotz dieser Begriffsaufblähung ist die Zahl der Menschenhandelsopfer in den Jahren nach der Einführung des Prostitutionsgesetzes gesunken, wie die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik belegen. Weite Teile der Sexarbeitsbranche hatten und haben mit Menschenhandel nicht das Geringste zu tun.
2. Deutschland sei durch das Prostitutionsgesetz zur europäischen Drehscheibe des Menschenhandels geworden.
Die Zahlen der offiziellen polizeilichen Kriminalstatistik können diese medial zur Zeit sehr beliebte Drohkulisse nicht stützen. Im Gegenteil: In den neun Jahren vor der Einführung des Prostitutionsgesetzes lag die durchschnittliche Anzahl polizeilich vermuteter, gerichtlich noch nicht bestätigter Opfer von Menschenhandel pro Jahr bei 1068. In den neun Jahren nach Einführung des Prostitutionsgesetzes sank diese Zahl auf 892 pro Jahr. Dies entspricht einem durchschnittlichen Rückgang der Opferzahlen um 16,5%.(1) Ebenso wenig entspricht es den Tatsachen, dass die Polizei das Prostitutionsgesetz als menschenhandelsförderlich kritisiert. Heike Rudat, die frauenpolitische Sprecherin des Bundes deutscher Kriminalbeamten, betrachtet die Einführung des Prostitutionsgesetzes „als eine Chance bei der Bekämpfung des Frauenhandels durch das Sichtbarmachen eines bisher im Graubereich agierenden Wirtschaftsbereiches.“(2)
3. Durch erschwerte polizeiliche Kontrollmöglichkeiten seien Frauen ungeschützter und ausgelieferter denn je.
Kaum ein Wirtschaftszweig wird in Deutschland stärker kontrolliert als die Prostitution. Polizei, Bauämter, Gesundheitsämter, Finanzämter, Ausländerbehörden und Zoll kontrollieren regelmäßig in Prostitutionsstätten. Bei Razzien kommt es häufig zu Polizeigewalt, so dass von einem Schutz der SexarbeiterInnen nur bedingt die Rede sein kann. Stattdessen kommt es zu Abschiebungen und Ausweisungen von Prostituierten.
4. Nur 3% der Prostituierten arbeiten selbstbestimmt.
Unsere eigenen Erfahrungen und Gespräche mit Polizeiexperten weisen in eine völlig andere Richtung. Fakt ist aber auch, dass sich solche Quantifizierungen durch die hohe Fluktuation in der Sexarbeitsbranche und den Mangel an repräsentativen Studien dem statistischen Zugriff entziehen. Hinzu kommt, dass Sexarbeiterinnen, die mit ihrem Job gut klarkommen, bei Fachberatungsstellen oft gar nicht in Erscheinung treten. Wenn die in der Sendung anwesende Sozialarbeiterin also behauptet, selbstbestimmte Prostituierte seien „so typisch für die Prostitution wie ein Unterwasserschweisser für die Metallindustrie“, dann reflektiert dies wohl eher die persönliche Wahrnehmung ihres eigenen Berufsalltags, nicht aber die Gesamtheit der Sexarbeitsbranche.
5. Die „autonome deutsche Hure“ sei eine aussterbende Spezies. Die typische Hure sei 25, habe drei Kinder, stamme aus Südosteuropa und arbeite unter Bedingungen von Zwang und Gewalt.
Die Realität ist unendlich viel komplexer. Die „typische Hure“ gibt es nicht. Ebenso wenig sind eingewanderte Prostituierte automatisch junge Opfer von Zwang und Gewalt und deutsche Sexarbeiterinnen per se alt und selbstbestimmt. Laut Lagebericht Menschenhandel 2010 des BKA belief sich die Zahl der deutschen Menschenhandelsopfer auf 19,8% und machte damit den größten Anteil an der Gesamtzahl der Opfer aus. Gern ausgeblendet wird auch, dass viele Migrantinnen bereits längere Zeit in Deutschland leben, bevor sie sich entschließen, in die Prostitution einzusteigen. Und dass sich der „Markt“ um viele Menschen aller Herkünfte und Altersgruppen erweitert hat, die der Prostitution nur zeitweise nachgehen, um ihr Einkommen aufzubessern.
6. Bei der Prostitution ginge es nicht um Sex, sondern um Macht. „Es geht darum, eine sexuelle Beziehung zu suchen, wo man sagen kann: ‚So, so, so, umdrehen, rauf, runter, Klappe halten, Mund aufmachen.’“ (Alice Schwarzer)
Die Vorstellung einer solchen Kommunikation zwischen Kunde und Dienstleisterin ist eine absolute Karikatur. Die große Mehrheit der Kunden verhält sich respektvoll und akzeptiert auch ein Nein. Hinzu kommt: Konkrete Praktiken werden häufig schon bei der Kontaktanbahnung ausgehandelt, womit sich Verhaltensanweisungen im Befehlston während der Dienstleistung völlig erübrigen.
7. Drei von vier Prostituierten können nur mit Drogen und Alkohol arbeiten.
Der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. liegen keine Studien vor, die nachweisen, dass Prostituierte wegen ihres Jobs anfangen zu trinken oder Drogen zu konsumieren. Zudem konnte keine Studie bislang die Behauptung belegen, dass Sexarbeiterinnen mehr Alkohol oder Drogen konsumieren als andere Berufsgruppen. Wissenschaftliche Untersuchungen, die der Frage nachgehen, welche Berufsgruppen einer Suchtgefahr am stärksten ausgesetzt sind, nennen regelmäßig andere Berufsgruppen (z.B. Journalisten, Arbeitslose, Studenten, Arbeiter).
8. Kunden gehen zu Prostituierten, weil sie unreif sind, weil ihre Partnerinnen zu selbstbewusst sind, weil sie sich Beziehungen entziehen und sich den Frauen nicht stellen wollen.
Freier – das belegen Studien immer wieder – sind von Alter, sozialem Background, Persönlichkeit und Bildungsstand her eine heterogene Gruppe und gehen aus den unterschiedlichsten Gründen zu Prostituierten. Ihnen pauschal Beziehungsunfähigkeit zu unterstellen, mag altfeministischem Wunschdenken entsprechen, geht aber an den vielschichtigen Lebenslagen und Motivationen der Kunden vorbei.
9. Ein Prostitutionsverbot oder Strafen für Freier würden dazu führen, dass weniger Männer zu Prostituierten gehen.
Wie viele Männer Sexarbeiterinnen aufsuchen, hängt nur sehr bedingt von der Rechtslage ab. Auch in Ländern wie den USA oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo die Prostitution verboten ist und/oder Freier bestraft werden, floriert das Business. Die Erfahrung mit Prostitutionsverboten zeigt aber auch, dass vor allem die Sexarbeiterinnen die Leidtragenden sind: Sie haben weniger Rechte und müssen im Berufsalltag mit mehr Risiken und Gefahren klarkommen.
10. Ein Prostitutionsverbot wäre vergleichbar mit der Abschaffung der Sklaverei.
Wir haben in Deutschland ein in den letzten zwei Jahrzehnten ständig erweitertes strafrechtliches Instrumentarium, um Eingriffe in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu verfolgen und zu ahnden. Ein Verbot der Prostitution dagegen verletzt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aller, die freiwillig in dem Metier arbeiten. Selbstbestimmte Prostituierte mit „glücklichen Sklavinnen“ (Alice Schwarzer) zu vergleichen, ist gehässig, respektlos und diskriminierend.
zitierte Quellen:
(1) Polizeiliche Kriminalstatistik aus den Jahren 1993-2010
(2) In: Emilija Mitrovic, Dorothea Müller (Hg.): Sexarbeit – ein Beruf mit Interessensvertretung? Working in the sex industry – Jobs with representation of interests? Marburg: BdWi-Verlag 2009. S. 79
HYDRA e.V. Treffpunkt und Beratung für Prostituierte
Köpenicker Straße 187/188 D-10997 Berlin (Kreuzberg) Fon: 030-611 00 23 Fax: 030-611 00 21
Email: kontakt@hydra-ev.org Internet: www.hydra-ev.org Ansprechpartnerin: K. Leppert (Tel.: 0172 - 180 75 11)
3 Kommentare:
Ich hatte eine ähnliche Wahrnehmung und dachte immer wieder "das darf doch nicht wahr sein", was für Klischees bedient wurden. Frau Maischberger war tatsächlich überhaupt nicht daran interessiert über das Thema aufzuklären, sie wollte lediglich eine Sendung abhaken.
Hier gibt es eine Antwort auf den offenen Brief...falls jemand interessiert ist.
http://www.das-schweigen-brechen.de/viewtopic.php?f=19&t=465
@Diana: Was hälst du von der Antwort? Die Autorin scheint den Begriff "sexuelle Selbstbestimmung" überhaupt nicht verstanden zu haben, verdreht ihn sogar um eine massive Einschränkung in die sexuelle Selbstbestimmung von Männern zu rechtfertigen. Es gibt keinen Anspruch darauf einen Partner zu finden, der nicht zu Prostituierten geht. Genauso wenig haben Männer den Anspruch eine Fraue zu finden, mit der sie Paysex haben können. Man kann-DARF!- niemanden zwingen sexuell Treu zu sein, man kann höchstens die Konsequenzen aus einem Vertrauensbruch ziehen und sich scheiden lassen, oder eine andere Lösung finden. Sexuelle Selbstbestimmung bezieht sich nur auf den eigenen Körper, schliesslich besitzt man den Partner nicht!
Kommentar veröffentlichen