Mittwoch, 19. Juni 2013

Armut schafft Ausbeutung

Nochmals die tatsächlichen Gründe, weshalb es in der Erotikbranche Ausbeutung und Menschenhandel gibt. Und was man dagegen tun kann, wenn man wirklich an einer Besserung für die Betroffenen und nicht nur an Repression von Sexarbeit interessiert ist:

http://www.rhein-zeitung.de/nachrichten/von-unserer-korrespondentin-in-berlin_artikel,-Kuenast-Prostitution-boomt-wegen-Armut-in-Europa-_arid,611629.html

"Grünen-Fraktionschefin Renate Künast verteidigt das rot-grüne Prostitutionsgesetz von 2002.

dpa: Ist Deutschland wirklich das "Bordell Europas?"

Glauben Sie das im Ernst? Ich nicht. Es gibt nicht einmal verlässliche Zahlen. Im Übrigen finde ich diesen Begriff derart unter Niveau, dass es mir die Sprache verschlägt. Jeder weiß doch, dass es so nicht ist.

Viele Experten sind aber der Ansicht, dass das Prostitutionsgesetz von Rot-Grün von 2002 Zwangsprostitution und Menschenhandel befördert hat. Würden Sie das Gesetz noch einmal so beschließen?

Die These ist falsch. Es gibt dazu keine Belege. Das ist aus meiner Sicht eine Kampfthese von einigen, die etwas anderes völlig ausblenden. Wir haben eine Situation von Armut in Bulgarien und Rumänien, die Wanderungen auslöst. Freizügigkeit gilt nicht nur für die Reichen und Schönen, sondern für alle Menschen, auch für die Armen und Perspektivlosen. Das ist es, was zu einer Zunahme der Prostitution geführt hat. Aber sicher nicht unsere rechtlichen Regelungen.

War das Gesetz also genau richtig?

Wir hätten das Gesetz damals gern ausgeweitet. Wir wollten Prostitution schon damals als Gewerbe definieren. Das wollten die Bundesländer nicht, weil sie es hätten umsetzen müssen. Seit Jahren hat die Koalition nun Zeit, die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel und für besseren Opferschutz umzusetzen. Was sie jetzt vorgelegt haben, ist auch sehr dürftig.

Die Grünen haben aber damals gar nichts falsch gemacht?

Die Länder wollten nicht weitergehen. Das ändert aber nichts daran, dass die Frauen vor dem Gesetz eine Dienstleistung erbracht haben, die sie zivilrechtlich nicht einklagen konnten und die als sittenwidrig galt. Das haben wir geändert, damit sie sich sozialversicherungsrechtlich absichern können. Die Frauen können auch ihr Geld einfordern. Ich stehe zu dem Gesetz.

Kritiker behaupten aber, dass durch die Anerkennung des Berufs keine Kontrollen möglich sind.

Mit der Problemlage heute hat unser Gesetz nichts zu tun! Sie ist durch Armutsmigration ausgelöst und dadurch, dass man bei der Gewerbeaufsicht nicht den nächsten Schritt gegangen ist, dass wir im Strafrecht zu wenig Zeugenschutz haben, dass es kein Bleiberecht für die Zeuginnen gibt. Wenn die Frauen aussagen, werden sie bedroht und unter Druck gesetzt. Der Staat gibt bisher keine Sicherheit für die Durchführung des Strafverfahrens."

Freitag, 7. Juni 2013

Wie Behörden Menschenhandelsopfer behandeln

Zur aktuellen Spiegel-Diskussion haben die Forscher Matthias Lehmann und Sonja Dolinsek einen Artikel geschrieben, der die Lage von Menschenhandelsopfern beleuchtet. Der Spiegel-Artikel propagiert Repression und Verurteilung von Tätern ohne die Aussagen der Opfer, was Rechtsstaatlich höchst bedenklich ist. Wie die Betroffenen durch Behörden behandelt werden, kommt nirgends zur Sprache. Dabei ist es hier, wo man ansetzen müsste. In Deutschland ist Prostitution in vielen Bundesländern de-facto illegal, da man es nur zu beschränkten Zeiten und an beschränkten Orten ausüben kann. Die Regeln dafür sind sehr unübersichtlich, und manchmal wissen nicht einmal die Behörden selber was gilt. Es besteht grosse Rechtsunsicherheit. Verstösse gegen diese Sittenregeln werden trotzdem mit Bussen und Strafregistereinträgen sanktioniert. Die Polizei tritt somit Sexarbeiterinnen meistens nicht als "Freund und Helfer" gegenüber, sondern als Kontrollinstanz, manchmal freundlich, manchmal aber auch schikanierend und psychisch missbrauchend.

Gerade für illegal Anwesende Sexarbeiter/innen aus Drittstaaten ist die Polizei eine Bedrohung, da sie abgeschoben werden könnten. Einige von ihnen haben vielleicht schon traumatisierende Razzien erlebt. Wenn diese Frauen nun Opfer von Ausbeutung werden, werden sie sich nicht an die Polizei wenden. Im Gegensatz zum propagierten Klischee wollen viele migrantische Sexarbeiterinnen, welche Gewalt erfahren haben, nicht in ihr Heimatland zurück. Die wenigsten Betroffenen sind wie im Film verschleppt worden, viele kommen im Wissen um ihre Tätigkeit hierher und erleben im Anschluss darauf Ausbeutung. Die Behörden haben für sie als "Rettung" aber nur Abschiebung und Re-Traumatisierung bereit.

Hier ein Ausschnitt des Artikels:

So, where is the real problem?

DER SPIEGEL’s greatest omissions are victim protection and victims’ rights when it comes to human trafficking. A narrow focus on the prostitution law and sex work prevents the authors from dwelling into the more complex web of legal regulations that make the prosecution of cases of human trafficking difficult in Germany.

First, human trafficking cases are dependent upon the testimony of victims. If they are for some reason unwilling to cooperate with the police and do not wish to testify, their cases will most likely fall apart. Furthermore, psychological support for victims of human trafficking is very limited. In many cases police officers and investigators expect linear and consistent narratives from victims from the very beginning, and utterly fail taking into account any traumas they may have endured just moments before. Victims are therefore not only forced to narrate their experiences over and over again, while their traumas are well and alive, but will also have their credibility judged and refuted as potential witnesses, if for some reason their stories show inconsistencies.

Before we talk about the prostitution law, let’s talk about how (potential) victims of human trafficking are treated once encountered by the police, and let’s talk about how those practices may in fact reduce to a minimum the willingness to testify.
Second, most victims of human trafficking who are third country nationals or from Romania or Bulgaria are repatriated to their home countries after their testimony. If they do not testify or cooperate with the authorities at all, they will be deported immediately after a reflection period of three months. Many decry the unwillingness of victims to testify as one central reason for the failure of trafficking prosecution. So far, however, little has been done to encourage testimony and cooperation by strengthening victims’ rights. What DER SPIEGEL fails to understand is that a reform of the prostitution law would have no impact on this aspect whatsoever. By focusing on the victims, the authors risk tapping into a dangerous rhetoric of victim blaming, and thus miss how not the prostitution law but the German immigration law actually contributes to much of the vulnerability of migrant women who are victimized. Germany should rather look towards Italy, where victims of human trafficking are unconditionally granted a residency permit and can begin re-building their lives."