Dienstag, 28. Mai 2013

Spiegel: Unethische Berichterstattung zum Thema Sexarbeit

Ich habe im aktuellen Spiegel den Artikel "Wie der Staat Frauenhandel fördert" (noch nicht online erhältlich) gelesen und bin sehr, sehr enttäuscht. Beim Titel hatte ich für eine sekunde die Hoffnung, dass der Fokus auf restriktiven Aufenthaltsgesetzen, Repression welche jegliches Vertrauensverhältnis zwischen verletzlichen Sexarbeiterinnen und der Polizei verunmöglicht, so wie Massnahmen, welche selbständiges Arbeiten erschweren, liegen könnte. Weit gefehlt. Was eine bitterst nötige seriöse Auseinandersetzung mit Fakten hätte werden können, stellt sich als eine Art Betroffenheitsporno heraus, welcher Stimmung für die kommenden repressiven Vorstösse gegen Sexarbeit macht. Mit tragischen Einzelschicksalen wird emotionalisiert, längst widerlegte Aussagen ad-nauseum wiederholt.

Wie schon im Cicero-Dossier wird versucht den Anschein von Ausgewogenheit zu erwecken indem auch die Sexarbeiterin Carmen interviewt wird. Ihre Bedingungen für die Teilnahme am Interview wurden aber missachtet, hier ihre Stellungnahme dazu: Wenn, dann schreibt über meine politische Arbeit..
Im Artikel wurde mit voller Absicht ein Bild von ihr als privilegierte, naive Minderheit dargestellt, deren Interessen im Gegensatz zur implizierten Mehrheit der Menschenhandelsopfer steht. Auf ihre Argumente, für deren Publizierung sie überhaupt einem Interview zustimmte, wird kaum eingegangen, stattdessen haben wir wieder eine typische Spiegel- "Reportage", wo der Text einen belächelnden, voyeuristischen Ton annimmt, von welchem die Journalisten wohl meinen es sei "Kritisch und mit Biss".

Lest bitte diesen Text auf Menschenhandel Heute, der den Artikel und die gelinde gesagt problematischen Aussagen darin ausführlich behandelt und insbesondere auf diejenigen Erkenntnisse hinweist, welche im Spiegel-Artikel "vergessen" gegangen sind. Dazu gehört zb. die Auskunft des Bundesministeriums, nach welcher die Statistik für Menschenhandel rückläufig ist so wie die Tatsache, dass Zuhälterei immer noch strafbar ist, während im Artikel immer so getan wird als ob "Förderung der Prostitution" (wozu zb. Einstiegsberatung von Sozialarbeitern für möglichst sicheres Arbeiten gehören) das gleiche wie Zuhälterei sei.

Sexworkerin Undine hatte im Vorfeld ihre Hilfe für eine sachliche, seriöse Berichterstattung angeboten, worauf Spiegel aber nicht reagierte. Folgend ein Ausschnitt aus ihrer Stellungnahme:

"Als ich vor einigen Wochen Wind von den Recherchen bekam und mir die Suggestivfragen, mit denen die Beratungsstellen penentriert wurden, zugetragen wurden (Tenor: Das macht doch sowieso keine freiwillig), versuchte ich mehrfach und vergeblich, die zuständigen Journalisten und später deren Vorgesetze zu kontaktieren, um ihnen im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Das Interesse war gleich null, ich bekam nicht einmal eine Antwort auf meine e-mails. Im Nachhinein betrachtet war das auch vermutlich besser so – welche Unverschämtheit aus dem Interview der Kollegin Carmen aus Berlin gemacht wurde, berichtet sie eloquent in ihrem Blog."

und weiter ihre sehr treffende Beobachtung: "Natürlich wird der verschleppten Rumänin lediglich das politisch engagierte und kulturell gebildete Studentinnen-Escort entgegengestellt, um sie im gleichen Atemzug als wunderliche Exotin abzuwerten. Im Artikel kein Wort über die Masse an Huren, für die es ein Job ist, der je nach Arbeitsplatz, Kolleginnen und Kundenkreis den einen Tag angenehm und lukrativ und den anderen auch mal nervig ist. Klar – mit der unspektakulären Wahrheit lässt sich keine Auflage machen." ...etwas, das in fast jeder vermeintlich "ausgewogenen" Berichterstattung zum Thema Prostitution auffällt.


Besonders schwer wiegt auch, dass mit keinem Wort auf Best-Practices-Empfehlungen von seriösen Menschenhandels- und Sexarbeitsfachstellen eingegangen wird. Dies kann man auch im bereits oben verlinkten Menschenhandel-Heute-Beitrag lesen:

"Völlig vergessen haben die Autor_innen des Spiegel auch die wichtige Arbeit der Beratungsstellen gegen Menschen- und Frauenhandel – zumindest jene in Deutschland, wie z.B. den bundesweiten Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK e.V.)."

Dafür verlinke ich hier den Rundbrief der Schweizer Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), welchen ich gerade den Spiegel-Autoren und Emma-Leserinnen dringendst empfehle.

Last but not least die Kritik von Dona Carmen am Spiegel-Artikel.

Nachtrag: Der nächste Post, "Wie Behörden Menschenhandelsopfer behandeln", betrifft auch den Spiegel-Artikel. Er zeigt, wo die wirklichen Probleme bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Ausbeutung liegen (einen Teil davon habe ich im ersten Abschnitt dieses Posts schon angesprochen).

1 Kommentar:

Kimi hat gesagt…

Hallo Sina,

das was Du schreibst hat mich sehr betoffen gemacht. Ich fand den Spiegel früher immer als eines der wenigen Magazine die ordentlichen Journalismus betreiben, aber dass sich das ändert, merkt man ja schon wenn man Spiegel-online.de liest. Klar die schreiben rote Zahlen, massiv rote Zahlen und da ist menschliche und korrekte Berichterstattung auf einmal nicht mehr SO wichtig, wie eine höchstmögliche Auflage. Einen neuen ChEf haben sie auch, da weht jetzt ein anderer Wind wie früher. Leider.
Quantität vor Qualität, das merkt man gleich.

Viele Grüße von Kimi aus München, die Dich gerne liest.