Samstag, 19. Oktober 2013
Repression in Zürich
Die Langstrasse im Kreis 4 von Zürich ist schon seit jeher ein Rotlicht- und Partyviertel- wohl schon länger, als ich auf der Welt bin. Ich selbst gehe auch ab und zu dort feiern. Wie es sich für ein Ausgeh-Viertel gehört, ist oft bis spät in der Nacht viel los. Und nun geht die Stadt gegen die dort ansässigen Salons und Sexworker- Wohnungen vor, weil die Bau- und Zonenverordnung (eigentlich schon seit 12 Jahren) die sexgewerbliche Nutzung von Wohnungen verbietet, wenn der Wohnanteil über 50% beträgt. Die Räumungen werden nach Aussagen einer ehemaligen Sozialarbeiterin und derzeitigen Bardame Auswirkungen auf das ganze Quartier haben. Coiffeursalons oder Kleiderläden, in denen viele Prostituierte einkauften, müssten schliessen. Kontaktbars ebenso. Ich stimme hier dem Kommentator auf dem Tages-Anzeiger zu:
"Und in spätestens zehn Jahren, wird es an der Langstrasse so öde sein, wie es im Dörfli bereits der Fall ist. Hauptsache die Touris schreiben im Trypadvisor anständige Kommentare über Zürich. Der Puritanismus hält Einzug in der Stadt. Diese angeblichen Aufwertungen sind doch nichts anderes, als die Zerstörung eines Charakters, der sich während vieler Jahrzehnte gebildet hatte."
Auch die Sozialarbeiter/innen der Heilsarmee, Stadtmission Zürich und Fachstelle FIZ sind alles andere als begeistert:
"Für Prostituierte wird es in Zürich immer gefährlicher – das sagen mehrere Sozialarbeiterinnen, die mit den Frauen zusammenarbeiten. Der Grund: Seit der neuen Prostitutionsgewerbe-Verordnung sind die Anforderungen gestiegen, um einen Salon zu eröffnen, in dem Liebesdienste angeboten werden. Verschärft wird die Situation dadurch, dass in mehreren Häusern im Quartier nicht mehr angeschafft werden darf. Darum müssen sich die Prostituierten neue Arbeitsorte suchen. Viele der Dirnen seien verzweifelt, sagt Christine Hauri von der Rahab-Arbeit der Heilsarmee. «Die Frauen wissen im Moment nicht, wo sie hinsollen», sagt sie. Und hat eine Lösung parat. «Warum wird nicht ein Strassenstrich im Kreis 4 zugelassen? Lange nicht alle Vertriebenen haben eine neue Bleibe gefunden.» Regula Rother, Leiterin der Zürcher Stadtmission, sieht die Sache ähnlich: «Gut finden wir die Entwicklung nicht.» Auch sie hält einen Strassenstrich im Kreis 4 für eine gute Idee."
Generell gebe es durch die neuen Regeln neue Probleme. «Die Auflagen werden immer höher», sagt Hauri. «Die Polizeipräsenz und die Bussen nehmen ständig zu und es gibt immer weniger Salons und Zimmer.» Dirnen habe es deswegen aber nicht weniger.
Glaubt man Rother und Hauri, hat die Stadt über das Ziel hinaus geschossen. «Wenn man darauf hinwirken will, dass die Strassenprostitution verschwindet», fragt Rother, «macht es dann Sinn, die Salonprostitution gleichzeitig einzugrenzen?» "
Die Regeln, welche zur Schliessung der Salons und Zimmer führen, sind vor allem baurechtliche Auflagen, und nicht solche welche effektiv die Arbeitssituation verbessern sollen. Rolf Vieli, der im Auftrag der Stadt an der "Aufwertung" (= steril, teuer und langweilig machen) des Viertels arbeitet, sagt man müsse auch die Interessen der Familien mit Kindern bedenken. Da frage ich mich, wieso eine Familie in ein Ausgeh- Viertel zieht. Denn am meisten Lärm und Probleme machen sicher nicht die Sexarbeiterinnen, sondern die johlenden Partygängerinnen und Partygänger. Sollen etwa alle alteingesessenen Restaurants, Bars und Clubs für die "Aufwertung" auch geschlossen werden? Wohnraum in Zürich ist knapp, aber für eine Familie mit jungen Kindern gibt es im Umkreis von Zürich zahlreiche günstigere, familienfreundlichere Alternativen.
Nachtrag vom 23.10
Artikel in der NZZ und 20Minuten, welche das Problem bestätigen: Anstatt legale, diskret und reibungslos laufende Indoor-Arbeitsplätze als Ausgleich zur Schliessung des Strassenstrichs zu fördern, werden sie durch schwierige Bewilligungsverfahren und Baurecht eingeschränkt. Bis Ende Jahr läuft die Bewilligungsfrist ab, aber kein einziges Bordell hat eine Bewilligung erhalten. Ich bin für ein einfaches Bewilligungsverfahren mit Überprüfung, welche sicherstellt, dass Sexarbeiterinnen selbstbestimmt, in Sicherheit und ohne Abzocke durch Betriebsinterne "Bussen" und ähnliches arbeiten können. Das Problem ist, dass die (v.a. baurechtlichen) Auflagen oft so unrealistisch gestaltet sind, dass nur Grossbordelle sie erfüllen können. Kleine Bordelle werden dagegen verdrängt. Die selbständige Zusammenarbeit mehrerer Sexarbeiterinnen, ohne aussenstehende Profiteure, wird verunmöglicht. Die Auflagen werden also so streng gestaltet, dass es einem Verbot gleichkommt- und die Sexarbeit wieder in die Illegalität gedrängt.
Samstag, 12. Oktober 2013
Norwegen
In Norwegen herrscht wie in Schweden das Modell der Kundenbestrafung. Es gibt aus verschiedenen politischen Lagern jedoch Kritik am Gesetz, da Klagen von Sexarbeiter/innen und Hilfsorganisationen bezüglich gestiegener Gewalt und Diskriminierung ernst genommen werden und nicht einfach als Kollateralschaden im Kampf gegen Sexarbeit(erinnen) akzeptiert werden. Deshalb hat das Justizministerium eine Evaluierung der geltenden Rechtslage beschlossen:
http://www.aftenposten.no/meninger/debatt/Ma-evalueres---grundig-7319711.html (Artikel auf Norwegisch, mit Google Translate verständlich) Die neue Regierung steht der Kriminalisierung eher kritisch gegenüber: http://www.bt.no/meninger/Verdien-av-sexkjopslova-2967296.html
"The law has not had the impact supporters said it should have. Our starting point has always been what's best for women and boys who prostitute themselves (Anm.: Würden es doch alle so sehen...). We were afraid that a ban would make the prostitute more dependent on facilitators and more prone to violence. It has unfortunately come true, says deputy and leader of the Conservative Party's program committee, Bent Høie."
There are many indications that the situation of girls and women has become worse as a result of the law, and when politicians must be adult enough to admit that the law has been counterproductive. It is not unnatural if this is an issue that will be reversed if there is a new government after the elections, said deputy Per Arne Olsen told VG.
http://translate.google.com/translate?sl=no&tl=en&hl=en&u=http%3A%2F%2Fwww.vg.no%2Fnyheter%2Finnenriks%2Fsexmarkedet%2Fartikkel.php%3Fartid%3D10072003
Die Rechtslage in Norwegen schadet Massnahmen, welche der Sicherheit von Sexworkern dienen sollen. Eine Beratungs- und Hilfsstelle wollte ein Cover-System einführen, bei welchem Sexarbeiter/innen die Daten von Kunden vor dem Treffen jeweils in einer Datenbank speichern können. So wüsste stets jemand, wo sie sind- und im Falle einer Gewalttat wäre der Täter klar. Bei Gewalt gegen Sexarbeiter/innen gilt oft: Gelegenheit macht den Vergewaltiger. Gewalttäter denken, sie seien anonym und würden sowieso nicht gefasst werden. Ausserdem vertrauen sie auf die Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexworkern, welche sie von einer Anzeigeerstattung abhalten kann (zb. in Schweden, weil man nicht als Sexarbeiterin bei der Polizei bekannt werden möchte). Deshalb ist es in einigen Bereichen der Sexarbeit (zb. Escort) üblich, dass man eine Cover-Person hat- jemand der weiss, wo man ist und folglich oft auch mit wem. Dies reduziert das Gewaltrisiko bereits erheblich- denn die wenigsten potenziellen Gewalttäter sind "Psychos", die nichts zu verlieren haben. Aber nicht jede/r hat eine vertraute Person, welche diese Rolle übernehmen könnte. Und in Norwegen sind Agenturen als "Zuhälterei" verboten. Die Organisation Prosentret wollte hier Abhilfe schaffen. Dies scheiterte jedoch daran, dass der Kauf sexueller Dienstleistungen verboten ist. Wenn ein Register von Kunden existiert, wären diese per se Straftäter- unabhängig davon, ob sie normale Kunden oder Gewalttäter sind. Die Polizei könnte das Register herausverlangen und alle bestrafen. Die Datenschutzbehörde sah dies als unzulässig an, weshalb das Register nicht eingeführt werden konnte (weshalb wurde nicht die Herausgabe an die Polizei verboten..?) Selbstverständlich wäre das Projekt auch ein Misserfolg gewesen, wenn Sexarbeiter befürchten müssen, ihre Kunden zu verraten. Und im schlimmsten Fall könnte Prosentret sogar für "Förderung der Prostitution" belangt werden.
http://www.thelocal.no/20131003/data-tsar-blocks-oslo-prostitute-register
Nachtrag vom 23.10:
Kriminologin May-Len Skilbrei kritisiert, dass Sexarbeiterinnen in Norwegen bei der Verfolgung von Menschenhandel misshandelt werden. :
Prostitute abused in pursuit of criminals
The way the police treat the prostitute , violate their rights , says researcher .
In Norway connects prostitution , trafficking and immigration law in such a way that women who sell sex gets worse , and in the other Nordic countries occurs similar things . In Norway connects prostitution , trafficking and immigration law in such a way that women who sell sex gets worse , and in the other Nordic countries occurs similar things . Prostitution market in Norway and neighboring countries has become far more international in recent years and now takes place in a variety of environments . Many prostitute coming across the border to sell sex, and contact with customers takes place over the Internet and mobile telephony as well as on the street. It has also internationalized prostitution aroused concerns about women victims of trafficking and pimping . In Norway and in our neighboring countries , we have laws against human trafficking and a number of measures to help the victims . At the same time the police and authorities also foreign prostitute as a problem to be stopped at the border. They are not alone in seeing it that way, also the tourist industry , hotel industry and residential landlords want the cross-border prostitution restricted.
Monitored and controlled
It is entirely permissible to sell sex in Scandinavia today . At the same time , there are laws that prohibit foreign women selling sex, or forbidden to sell sex in specific arenas. In addition, police women who sell sex as a means to prosecute human trafficking , pimping and buying sex , which means they are monitored and controlled by the authorities and the police , although they have not broken any laws.
deprived of rights
This is about the police in Scandinavia think handy , and use the funds they have available . Although women in politics and debate is often seen as victims and the weaker party , involves policy in practice that their lives are difficult. Foreign women who sell sex are particularly vulnerable , since the police are using them in an attempt to uncover human trafficking and organized crime.
Assumed victims get help or not often depends on how far they stretch to help police and prosecutors . The consequence is that the prostitute who comes across the border get their freedoms and rights restricted. They are stopped at airports and refused visas, they are " outet " and thrown out of their homes by the landlord tips about possible prostitution , they are denied rooms at hotels and guesthouses , sent out of the country and so on . Police grounds are like the women are " victims " who must be saved from prostitution and human trafficking , but this puts women at the same time in a very difficult situation. Police in Scandinavia think handy , and use the resources they have available , says Skilbrei . Police intervention in prostitution and in the lives of the foreign women are greatly increased in recent years , and the search for witnesses to trafficking prevents or makes women's access to Norway difficult. (Anm.: Prostitutionsbekämpfung wieder mal als Vorwand für rassistische, sexistische Diskriminierung) Police efforts to stop human trafficking , pimping , illegal immigration and buying sex has created a situation where these women are available for inspection in a completely different way than the rest of the population , says May- Len Skilbrei .She is an associate professor in the Department of Criminology and Sociology , and research on developments in prostitution , migration , gender and immigration .
The legislation used creatively
Prostitution has for years , since Russian women began selling sex in Norway in the late 90s , aroused suspicion of human trafficking and pimping . Skilbreis research shows how the immigration law and criminal law are connected in various ways to prevent and detect trafficking in the cross-border prostitution . Legislation is also used creatively to prevent full legal prostitution , and to use women as agents in pursuit of criminals. In the article " Transnational prostitution in the conflict between fighting crime and immigration control" (2013 ) describes three different practices Skilbrei government uses . The first is that the police use actions against houses and hotels where women selling sex lives to uncover pimping , trafficking and buying sex . These actions are a strong impact on the lives of women who sell sex. Since the attacks also reveal offenses or lack of residency in the women themselves , this means that actions could just as easily lead to women being taken , that those who exploit them becomes.
Police need witnesses
The second practice is how prostitutes access to Norway connected with police looking for witnesses to violations of human trafficking section. Police revealed on the border of the incoming women have broken immigration law or criminal law , and use this as an input to discussions with them to get them to " admit " that they are victims of trafficking. The women like to be seen as victims who need help. But instead of giving them the help they are detained for minor offenses. It is not uncommon for women missing passport or residence permit. Police then uses these offenses as leverage to get the conversations with women about crimes others have committed.
Human trafficking is an offense for which prosecution is highly dependent on courtroom testimony from victims , so it is important for police to secure these . At the same time puts the increased monitoring and initiatives to women them in a vulnerable situation. Skilbrei shows how this practice , which is often held up as an example to be followed by the police, goes beyond legal protection , safety and welfare of victims of trafficking.
To prevent future offenses
The third practice she describes how the Norwegian authorities using immigration law disqualify women at the border that they know or guess going to sell sex or reject visa applications in their home country. The women stopped when not in an attempt to uncover human trafficking and help victims , but to prevent them from traveling to Norway . The aim and the reason is to prevent offenses other people might conceivably perform , such as buying sex . That women "punished " for other possible future offenses. Who else in our society are treated like this, ask Skilbrei .
The Nordic model
In Norway connects prostitution , trafficking and immigration law in such a way that women who sell sex gets worse , and in the other Nordic countries occurs similar things . The " Nordic model " of prostitution policy reflects the following Skilbrei a political desire to signal that one takes the weak party , when prostitution often associated with oppression of women and the use of force by men.Prostitution and the parties involved are met by different sets of rules that carry with them different views on prostitution . The Penal Code states that whoever buys sex should have the greatest responsibility , because you think he has the most power in the situation. In this respect it is the buyer who should be punished .We also see that the selling sex meet many other bans from other parts of the legislation . In this respect , the authorities very mixed signals about who is responsible for prostitution , says Skilbrei .
The blame is placed on the women still
- The authorities believe that prohibit the sale would be giving the wrong message , as one would blame the women , and there is little political tradition in Norway and Scandinavia. But in practice it is done anyway , to deal with human trafficking , pimping and buying sex .We see in Europe that it is women work against prostitution and trafficking greatly exceeds . The legislation is not applied to men, but it is not getting men who sell sex either. You define them outside problem. Sex-purchase law is handled very differently, and when not expose the male sellers for the same intervention must also be a gender perspective here , think Skilbrei .
Freitag, 4. Oktober 2013
Ausnutzung von Notlagen durch Missionare
Ich glaube nicht, dass alle Beratungs- und Hilfsorganisationen mit kirchlichem oder sonstig religiösem Hintergrund inkompetent sind und hilfesuchenden Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern schaden. Es gibt einige positive Beispiele, in denen nicht versucht wird mit Sünden-Rhetorik zum Ausstieg zu bewegen, sondern das Zuhören, Respekt vor den Bedürfnissen von Hilfesuchenden und echte, vorurteilsfreie Nächstenliebe an erster Stelle steht.
Es gibt jedoch auch zahlreiche Negativbeispiele. Eines davon hier:
http://www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/28478/Missionare-auf-Luzerns-Strassenstrich-aktiv.htm?st-body=1
Missionare auf Luzerns Strassenstrich aktiv
«Ich habe Sexarbeiterinnen auf dem Strassenstrich besucht, um mich davon zu überzeugen, dass es in Luzern keine Opfer von Menschenhandel gibt. Es ist jedoch offensichtlich, dass auch hier Opfer von Menschenhandel leben und arbeiten», sagt Claudine Tanner aus Malters. 25 Jahre alt ist die kaufmännische Angestellte und seit November 2012 nimmt sie regelmässig Kontakt mit Prostituierten auf. Jede zweite Woche besucht sie diese auf dem Strassenstrich oder bei ihnen zuhause.
Vereinsziel: Ausstieg aus dem Milieu
Claudine Tanner tut dies für den Verein «bLOVEd», der im August 2013 gegründet wurde. Die Exponenten gehören teilweise der überkonfessionellen Freikirche ICF Luzern sowie dem Christlichen Zentrum Zollhaus Emmenbrücke an.
Doch will ein Verein, der gerade mal sieben Mitglieder zählt, tatsächlich gegen ein Business aktiv werden, das zum ältesten Gewerbe der Welt gehört und seit über 2000 Jahren existiert? «Unser Ziel ist, die Frauen und Männer aus dem Sexmilieu heraus zu holen», sagt Claudine Tanner. Ist das nicht illusorisch? «Nein. Wir haben es zwar bisher nicht geschafft. Vielleicht geht es vor allem darum, dass wir zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind», hofft Tanner weiter.
Motivation zieht sie unter anderem aus einem Beispiel vom Zürcher Strassenstrich. Hier konnte eine Frau, die nach ihren Angaben unfreiwillig im Sexgewerbe gelandet sei, zurück nach Ungarn begleitet werden. Die Luzernerin hofft, bald einen ähnlichen Erfolg in Luzern erzielen zu können.
Eine Schuldzuweisung bringe den Sexarbeiterinnen nichts. «Die Frauen und Männer, die im Sexmilieu arbeiten, fühlen sich schon genügend schuldig. Mit ihren Einsätzen fügen die Missionare den Betroffenen nur noch mehr Schaden zu», urteilt die 49-Jährige.
Fälle von Menschenhandel in Luzern
Auch die Luzerner Polizei sieht das von den Freikirchen gezeichnete Bild differenzierter. «Dass es auch bei uns Opfer von Menschenhandel gibt, ist unbestritten. Es ist aber sicher nicht so, dass jede Frau ein Opfer ist», glaubt Simon Steger von der Kriminalpolizei Luzern. «Es gibt durchaus Frauen, die im Sexgewerbe arbeiten und das freiwillig tun, weil sie dabei viel Geld verdienen können», erklärt der 37-jährige Spezialist für Menschenhandel.
Die Luzerner Polizei führe zwar immer wieder Verfahren wegen Opfer von Menschenhandel durch. «Bis jetzt haben aber die meisten dieser Opfer in den Salons und Clubs und nicht auf dem Strassenstrich gearbeitet.» Die Luzerner Polizei habe deshalb eine Stelle geschaffen, bei der sich die Mitarbeiter hauptsächlich um dieses Deliktsfeld kümmern.
Mangelndes Angebot «ein Skandal»
Dies alleine genügt Xenix nicht. Jaqueline Suter finde es «einen Skandal», dass es in Luzern bisher kein professionelles Angebot für Prostituierte gibt. Denn es sei auch die Aufgabe solcher Fachstellen, Fragen rund um die Religion abzuklären und dort zu unterstützen. Dies beinhalte auch die Vermittlung an die Landeskirchen, wo professionell seelsorgerisch ausgebildete Menschen arbeiten. Suter ist überzeugt: «Die Missionare missbrauchen die Abhängigkeit und die Notsituation, in der sich die Frauen und Männer befinden, für ihre persönlichen Zwecke. Sie nehmen ihnen den letzten Glauben an sich selber.»
Viele der Sexarbeiterinnen seien religiös und würden sich dadurch schon in einem psychologischen Dilemma befinden. «Dann zu hören, dass dir Gott hilft, ist keineswegs hilfreich. Damit werden keine Mieten bezahlt und keine Familien ernährt. Für mich stellt das ganz klar eine Ausnützung der Notlage dar.»
Ewiges Leben - aber nur für Gläubige
Dem widerspricht Claudine Tanner. «Wir möchten den Prostituierten ein Stück Würde zurückgeben.» Jedes der sieben Vereinsmitglieder sei «sehr gläubig» und handle vor allem aus Nächstenliebe. «Wir staunen immer wieder, wie viele Sexarbeiterinnen gläubig sind. Sobald wir mit ihnen über den Glauben reden, sind sie offen. Wir beten zusammen mit den Prostituierten dafür, dass sie ein besseres Leben führen können oder dass es ihren Familien gut geht.» Und sie ist überzeugt, dass Gott nach dem Tod über jeden Menschen richten werde. «Diejenigen, die an Gott glauben, werden befreit und das ewige Leben geschenkt bekommen.»
Und Tanner berichtet, dass sie in den knapp zehn Monaten «schöne und krasse Situationen» erlebt habe. Die 25-Jährige erzählt von einem Transsexuellen, der unter starkem Einfluss von Alkohol völlig ausgerastet ist: «Er war verzweifelt, weil er an diesem Abend keine Kunden hatte. Er sagte, dass er von seinem Freier geschlagen werde, wenn er kein Geld heimbringen würde. Wir haben mitten in der Nacht versucht, ihn zu einer Vermittlungsstelle oder einer Opferbetreuung zu bringen.» Man habe bei der Polizei und beim Kantonsspital angerufen. «Wir haben keine Hilfe bekommen, niemand war zuständig. Wir mussten ihn zurück lassen. Das war sehr frustrierend.»
Luzerner Polizei: «Nicht jede Frau ist Opfer»
Simon Steger von der Kriminalpolizei Luzern sagt zu diesem Vorwurf: «Grundsätzlich gehen wir jeder Meldung nach, wenn dahinter eine Straftat stecken könnte. Doch wenn nichts Strafrechtliches im Vordergrund steht, sind uns die Hände gebunden.»
Für Claudine Tanner ist trotzdem klar: Aufgeben und die Sache an den Nagel hängen will sie nicht. Vielmehr fordert sie, dass Prostitution und Pornographie weltweit verboten werden müssten. Für Simon Steger ist ein Verbot keine Lösung. «Es ist das älteste Gewerbe der Welt, das sagt doch schon alles. Es ist trügerisch zu glauben, dass man die Zwangs-Prostitution mit einem Verbot verbannen kann. Damit würden die Frauen noch mehr in die Illegalität gezwungen. Ob es ihnen so besser gehen würde, ist fraglich.»
«Ein Missbrauch»
Auch für Jaqueline Suter von Xenia Bern steht fest: «Ein Verbot würde nichts Positives bewirken. Damit würde man den Sexarbeiterinnen noch den letzten kleinen rechtlichen Status, den sie besitzen, wegnehmen. Dadurch würden sie noch mehr ausgebeutet werden.»
Gleichzeitig wünscht sich die 49-Jährige, dass sich die Missionare vom Strassenstrich zurückziehen. «Sie sollen in der Allgemeinbevölkerung missionieren. Nicht dort, wo die Menschen geschwächt sind und wenig Selbstbewusstsein haben.» Es bestehe die Gefahr, dass dadurch die Arbeit der Fachstellen behindert und der Kontakt zu den Frauen und Männern im Sexgewerbe erschwert würden. In Biel und Thun seien die Beraterinnen von Xenia auch schon vor verschlossenen Türen gestanden, wenn sie einen Salon besuchen sollten. « Den Mitgliedern von bLOEVd geht es gar nicht um eine Hilfestellung. Sie wollen einfach missionieren und möglichst viele Schafe retten.»
Nachtrag vom 29.12.: Mission Freedom ist ein weiteres Beispiel für eine schädliche christliche "Hilfs"organisation. Opfer von Menschenhandel, denen Mission Freedom angeblich geholfen hat, werden in Filmen vorgeführt, wodurch ihre Sicherheit gefährdet wird. Gemäss einem Bürgerschaftsabgeordneten mussten betroffene Frauen ihr Handy abgeben und durften nicht mehr weltliche Musik hören. Die Organisation schliesst Betreuungsverträge mit den Opfern ab, in denen "gegenseitige Erwartungen und Verpflichtungen geklärt werden". Worin diese Erwartungen bestehen, konnten die Journalisten nicht herausfinden. Fest steht jedoch, dass jegliche Erwartungshaltungen an Opfer von Menschenhandel völlig fehl am Platz sind und nur bei unseriösen "sozialen" Organisationen anzutreffen sind. Typischerweise bestehen solche Erwartungen darin, dass das Opfer nicht als Sexarbeiterin ihren Lebensunterhalt bestreiten darf (ich weiss nicht, ob dies hier der Fall ist, aber halte es für sehr wahrscheinlich). Hilfe in Notsituationen wird also davon abhängig gemacht, dass ein Menschenhandelsopfer nicht gleichzeitig Sexarbeiterin sein darf. Hier kommt das falsche Bild vom "perfekten Opfer" zu tragen: Hilfswürdig ist nur, wer unfreiwillig Sex gegen Geld anbieten musste oder bereit ist, auszusteigen und somit "geläutert" ist. Dies zeigte sich unter Anderem im tragischen Fall von Yasmin, wo die schwedischen Behörden nicht bereit waren Schutzmassnahmen gegen einen gewalttätigen Ex-Ehemann zu ergreifen, weil das Opfer Sexarbeiterin war. Sie hätte zuerst ihr "echtes Problem" (d.h. die Sexarbeit) erkennen müssen, um Hilfe zu erhalten, was sie als selbstbestimmte, zufriedene Sexarbeiterin jedoch nicht tat.
Es gibt jedoch auch zahlreiche Negativbeispiele. Eines davon hier:
http://www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/28478/Missionare-auf-Luzerns-Strassenstrich-aktiv.htm?st-body=1
Missionare auf Luzerns Strassenstrich aktiv
«Ich habe Sexarbeiterinnen auf dem Strassenstrich besucht, um mich davon zu überzeugen, dass es in Luzern keine Opfer von Menschenhandel gibt. Es ist jedoch offensichtlich, dass auch hier Opfer von Menschenhandel leben und arbeiten», sagt Claudine Tanner aus Malters. 25 Jahre alt ist die kaufmännische Angestellte und seit November 2012 nimmt sie regelmässig Kontakt mit Prostituierten auf. Jede zweite Woche besucht sie diese auf dem Strassenstrich oder bei ihnen zuhause.
Vereinsziel: Ausstieg aus dem Milieu
Claudine Tanner tut dies für den Verein «bLOVEd», der im August 2013 gegründet wurde. Die Exponenten gehören teilweise der überkonfessionellen Freikirche ICF Luzern sowie dem Christlichen Zentrum Zollhaus Emmenbrücke an.
Doch will ein Verein, der gerade mal sieben Mitglieder zählt, tatsächlich gegen ein Business aktiv werden, das zum ältesten Gewerbe der Welt gehört und seit über 2000 Jahren existiert? «Unser Ziel ist, die Frauen und Männer aus dem Sexmilieu heraus zu holen», sagt Claudine Tanner. Ist das nicht illusorisch? «Nein. Wir haben es zwar bisher nicht geschafft. Vielleicht geht es vor allem darum, dass wir zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind», hofft Tanner weiter.
Motivation zieht sie unter anderem aus einem Beispiel vom Zürcher Strassenstrich. Hier konnte eine Frau, die nach ihren Angaben unfreiwillig im Sexgewerbe gelandet sei, zurück nach Ungarn begleitet werden. Die Luzernerin hofft, bald einen ähnlichen Erfolg in Luzern erzielen zu können.
Massive Kritik von Fachstelle
Dass sich Anhänger von Freikirchen auf dem Strassenstrich engagieren, beurteilt Jaqueline Suter von Xenia Bern als falsch. «Sie besitzen nicht die nötige Kompetenz. Solche Einsätze machen aus meiner Sicht absolut keinen Sinn», sagt Suter, die seit 16 Jahren für Xenia Bern tätig ist. Die Fachstelle berät Frauen und Männer, die im Sexgewerbe tätig sind. Suter kennt die Anliegen der Missionare und weiss: «Sie kümmern sich nicht um die Rechtslage und vermitteln ein total falsches Bild.» Freikirchen gingen davon davon aus, dass alle Frauen im Sexgewerbe Opfer von Frauenhandel seien und gerettet werden müssten. «Das ist unprofessionell, unsensibel und sehr plakativ», so Suter.Eine Schuldzuweisung bringe den Sexarbeiterinnen nichts. «Die Frauen und Männer, die im Sexmilieu arbeiten, fühlen sich schon genügend schuldig. Mit ihren Einsätzen fügen die Missionare den Betroffenen nur noch mehr Schaden zu», urteilt die 49-Jährige.
Fälle von Menschenhandel in Luzern
Auch die Luzerner Polizei sieht das von den Freikirchen gezeichnete Bild differenzierter. «Dass es auch bei uns Opfer von Menschenhandel gibt, ist unbestritten. Es ist aber sicher nicht so, dass jede Frau ein Opfer ist», glaubt Simon Steger von der Kriminalpolizei Luzern. «Es gibt durchaus Frauen, die im Sexgewerbe arbeiten und das freiwillig tun, weil sie dabei viel Geld verdienen können», erklärt der 37-jährige Spezialist für Menschenhandel.
Die Luzerner Polizei führe zwar immer wieder Verfahren wegen Opfer von Menschenhandel durch. «Bis jetzt haben aber die meisten dieser Opfer in den Salons und Clubs und nicht auf dem Strassenstrich gearbeitet.» Die Luzerner Polizei habe deshalb eine Stelle geschaffen, bei der sich die Mitarbeiter hauptsächlich um dieses Deliktsfeld kümmern.
Mangelndes Angebot «ein Skandal»
Dies alleine genügt Xenix nicht. Jaqueline Suter finde es «einen Skandal», dass es in Luzern bisher kein professionelles Angebot für Prostituierte gibt. Denn es sei auch die Aufgabe solcher Fachstellen, Fragen rund um die Religion abzuklären und dort zu unterstützen. Dies beinhalte auch die Vermittlung an die Landeskirchen, wo professionell seelsorgerisch ausgebildete Menschen arbeiten. Suter ist überzeugt: «Die Missionare missbrauchen die Abhängigkeit und die Notsituation, in der sich die Frauen und Männer befinden, für ihre persönlichen Zwecke. Sie nehmen ihnen den letzten Glauben an sich selber.»
Viele der Sexarbeiterinnen seien religiös und würden sich dadurch schon in einem psychologischen Dilemma befinden. «Dann zu hören, dass dir Gott hilft, ist keineswegs hilfreich. Damit werden keine Mieten bezahlt und keine Familien ernährt. Für mich stellt das ganz klar eine Ausnützung der Notlage dar.»
Ewiges Leben - aber nur für Gläubige
Dem widerspricht Claudine Tanner. «Wir möchten den Prostituierten ein Stück Würde zurückgeben.» Jedes der sieben Vereinsmitglieder sei «sehr gläubig» und handle vor allem aus Nächstenliebe. «Wir staunen immer wieder, wie viele Sexarbeiterinnen gläubig sind. Sobald wir mit ihnen über den Glauben reden, sind sie offen. Wir beten zusammen mit den Prostituierten dafür, dass sie ein besseres Leben führen können oder dass es ihren Familien gut geht.» Und sie ist überzeugt, dass Gott nach dem Tod über jeden Menschen richten werde. «Diejenigen, die an Gott glauben, werden befreit und das ewige Leben geschenkt bekommen.»
Und Tanner berichtet, dass sie in den knapp zehn Monaten «schöne und krasse Situationen» erlebt habe. Die 25-Jährige erzählt von einem Transsexuellen, der unter starkem Einfluss von Alkohol völlig ausgerastet ist: «Er war verzweifelt, weil er an diesem Abend keine Kunden hatte. Er sagte, dass er von seinem Freier geschlagen werde, wenn er kein Geld heimbringen würde. Wir haben mitten in der Nacht versucht, ihn zu einer Vermittlungsstelle oder einer Opferbetreuung zu bringen.» Man habe bei der Polizei und beim Kantonsspital angerufen. «Wir haben keine Hilfe bekommen, niemand war zuständig. Wir mussten ihn zurück lassen. Das war sehr frustrierend.»
Luzerner Polizei: «Nicht jede Frau ist Opfer»
Simon Steger von der Kriminalpolizei Luzern sagt zu diesem Vorwurf: «Grundsätzlich gehen wir jeder Meldung nach, wenn dahinter eine Straftat stecken könnte. Doch wenn nichts Strafrechtliches im Vordergrund steht, sind uns die Hände gebunden.»
Für Claudine Tanner ist trotzdem klar: Aufgeben und die Sache an den Nagel hängen will sie nicht. Vielmehr fordert sie, dass Prostitution und Pornographie weltweit verboten werden müssten. Für Simon Steger ist ein Verbot keine Lösung. «Es ist das älteste Gewerbe der Welt, das sagt doch schon alles. Es ist trügerisch zu glauben, dass man die Zwangs-Prostitution mit einem Verbot verbannen kann. Damit würden die Frauen noch mehr in die Illegalität gezwungen. Ob es ihnen so besser gehen würde, ist fraglich.»
«Ein Missbrauch»
Auch für Jaqueline Suter von Xenia Bern steht fest: «Ein Verbot würde nichts Positives bewirken. Damit würde man den Sexarbeiterinnen noch den letzten kleinen rechtlichen Status, den sie besitzen, wegnehmen. Dadurch würden sie noch mehr ausgebeutet werden.»
Gleichzeitig wünscht sich die 49-Jährige, dass sich die Missionare vom Strassenstrich zurückziehen. «Sie sollen in der Allgemeinbevölkerung missionieren. Nicht dort, wo die Menschen geschwächt sind und wenig Selbstbewusstsein haben.» Es bestehe die Gefahr, dass dadurch die Arbeit der Fachstellen behindert und der Kontakt zu den Frauen und Männern im Sexgewerbe erschwert würden. In Biel und Thun seien die Beraterinnen von Xenia auch schon vor verschlossenen Türen gestanden, wenn sie einen Salon besuchen sollten. « Den Mitgliedern von bLOEVd geht es gar nicht um eine Hilfestellung. Sie wollen einfach missionieren und möglichst viele Schafe retten.»
Nachtrag vom 29.12.: Mission Freedom ist ein weiteres Beispiel für eine schädliche christliche "Hilfs"organisation. Opfer von Menschenhandel, denen Mission Freedom angeblich geholfen hat, werden in Filmen vorgeführt, wodurch ihre Sicherheit gefährdet wird. Gemäss einem Bürgerschaftsabgeordneten mussten betroffene Frauen ihr Handy abgeben und durften nicht mehr weltliche Musik hören. Die Organisation schliesst Betreuungsverträge mit den Opfern ab, in denen "gegenseitige Erwartungen und Verpflichtungen geklärt werden". Worin diese Erwartungen bestehen, konnten die Journalisten nicht herausfinden. Fest steht jedoch, dass jegliche Erwartungshaltungen an Opfer von Menschenhandel völlig fehl am Platz sind und nur bei unseriösen "sozialen" Organisationen anzutreffen sind. Typischerweise bestehen solche Erwartungen darin, dass das Opfer nicht als Sexarbeiterin ihren Lebensunterhalt bestreiten darf (ich weiss nicht, ob dies hier der Fall ist, aber halte es für sehr wahrscheinlich). Hilfe in Notsituationen wird also davon abhängig gemacht, dass ein Menschenhandelsopfer nicht gleichzeitig Sexarbeiterin sein darf. Hier kommt das falsche Bild vom "perfekten Opfer" zu tragen: Hilfswürdig ist nur, wer unfreiwillig Sex gegen Geld anbieten musste oder bereit ist, auszusteigen und somit "geläutert" ist. Dies zeigte sich unter Anderem im tragischen Fall von Yasmin, wo die schwedischen Behörden nicht bereit waren Schutzmassnahmen gegen einen gewalttätigen Ex-Ehemann zu ergreifen, weil das Opfer Sexarbeiterin war. Sie hätte zuerst ihr "echtes Problem" (d.h. die Sexarbeit) erkennen müssen, um Hilfe zu erhalten, was sie als selbstbestimmte, zufriedene Sexarbeiterin jedoch nicht tat.
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