Ich habe nun schon öfter in der Netzwelt Beiträge gesehen, in denen der Mädchenmannschaft und einzelnen feministisch inspirierten Artikeln unterstellt wird, Sexarbeit als "Gipfel der Selbstbestimmung" darzustellen und sich einseitig mit "privilegierten" Sexarbeiterinnen zu befassen. Solche Vorwürfe lassen sich für mich nur dadurch erklären, dass man sich überhaupt nicht mit den Inhalten dieser Artikel befasst hat.
Ich möchte dafür die Beiträge zum Thema Sexarbeit anschauen, welche bei der Mädchenmannschaft im den letzten Jahren publiziert wurden- in der Hoffnung, dass dieser Artikel von wie oben kommentierenden Personen tatsächlich gelesen wird, anstatt nach dem Ausdruck "Sexarbeit" an Stelle von "Zwangsprostitutionausbeutungzwang" mental abzuschalten.
Die letzten Beiträge waren vor allem Verlinkungen zu diesen Kritiken am Spiegel-Artikel "Bordell Deutschland":
http://courtisane.de/blog/?p=659
http://menschenhandelheute.net/2013/05/28/bordell-deutschland-journalismus-auf-lucke/
Ist es falsch, eine Sexarbeiterin zu Wort kommen zu lassen, wenn sie ihren Job mag? Deutet man damit an, alle Sexarbeiterinnen würden ihren Job aus purem Vergnügen machen? Ignoriert man Ausbeutung, wenn man unsachliche Artikel kritisiert?
In diesem Artikel geht es um Victim Blaming:
http://maedchenmannschaft.net/solidaritaet-und-unterstuetzung-auch-fuer-unperfekte-opfer/
"Sind sie Opfer von Menschenhandel geworden, gelten sie als „unschuldig“ und Hilfe ihnen gegenüber als moralische Pflicht. Haben sie sich jedoch scheinbar „freiwillig“ für die Sexarbeit entschieden (so freiwillig, wie Lohnarbeit eben sein kann), gilt ihr Lage als „selbst-“ oder zumindest „mitverschuldet“
Hier geht es um verschiedene Positionen zum Thema Sexarbeit:
http://maedchenmannschaft.net/sex-arbeitende-muetter/
"Wenn die Arbeitsbedingungen allein von Kapitalismus und Ausbeutung geprägt sind, ist die Arbeit wohl kaum selbstbestimmt und empowering. In anderen Kontexten jedoch ist sicherlich eine freie und befriedigende Arbeit möglich. Ich schliesse also mit einer Banalität: Sex-Arbeit ist nicht gleich Sex-Arbeit und sollte, wie alles, differenziert betrachtet werden."
Hier wird eine Kampagne, welche Menschenhandelsopfer zur sexuellen Ausbeutung als verpackte Fleischwaren darstellt, kritisiert:
http://maedchenmannschaft.net/frischfleisch-gegen-frauenhandel/
Hier wird gezeigt, dass Sexarbeiter/innen selbständig handelnde Individuen sind, welche für ihre Rechte eintreten können und denen man zuhören muss:
http://maedchenmannschaft.net/nicht-nur-opfer-sexarbeiter_innen/ ...bedeutet dies, dass es keinerlei Probleme in der Sexarbeit gibt, alles supidupi?
In diesem Artikel geht es um ein sexistisches Geschäftsumfeld, in welchem die Mitarbeiter mit Sexdienstleistungen belohnt werden:
http://maedchenmannschaft.net/wenn-herr-kaiser-und-seine-freunde-mal-so-richtig-feiern/
Ich kann bei bestem Willen nicht erkennen, wo hier Prostitution durch eine rosa Brille gesehen wird.
Anzuerkennen, dass es nicht nur alle paar Lichtjahre Sexarbeiterinnen gibt die mit ihrem Job zufrieden sind, bedeutet nicht, Missstände zu ignorieren. Im Gegenteil- dadurch, dass positive Beispiele aufgezeigt werden, wird klar, dass schlechte Arbeitsbedingungen und Gewalt für Sexarbeiterinnen keinesweg zwangsläufiger Berufsalltag ist. Es gibt Alternativen zwischen (evtl. erzwungenem) Ausstieg/Armut und der Inkaufnahme von Ausbeutung- Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen sind möglich. Zyniker/innen sagen nun, dass es für Sexarbeiterinnen keine Rolle spielt, ob arbeitsrechtliche Mindeststandards eingehalten werden und die Kunden respektvoll oder übergriffig sind, da Sexarbeit in jedem Fall eine Art Vergewaltigung darstellt. Diese Sicht ist nicht nur falsch- natürlich spielt es für uns eine Rolle, wie wir behandelt werden, ob privilegiert oder nicht- sondern auch schädigend, da das Vorurteil reproduziert wird, man könne Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, durch die Inanspruchnahme dieser Dienstleistung kaufen. Schliesslich willigt sie ein, "vergewaltigt" zu werden- was spielt es denn da noch für eine Rolle, ob man ihre Grenzen respektiert und sie freundlich behandelt?
Missstände in der Sexarbeit müssen angesprochen und bekämpft werden. Dafür ist es jedoch nicht notwendig, Sexarbeiterinnen in prekären Situationen als durchwegs hilflose, naive Opfer, die "innerlich tot" sind und deshalb keine Entscheidungen treffen können, darzustellen. Eine solche Darstellung reproduziert nur die Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen, und übt Druck auf sie aus, Missstände zu verschweigen, um in der Öffentlichkeit nicht als Opfer bevormundet zu werden. Die Realität ist wohl, dass viele Sexarbeiterinnen aufgrund von begrenzten Optionen dieser Tätigkeit nachgehen und unter finanziellem Druck stehen. Dies bedeutet nicht, dass sie nicht rational handelnde Individuen sind, welche die bestmögliche Option für sich auswählen- auch wenn diese Option alles andere als ideal sein mag. Sexarbeiterinnen
agency zuzugestehen bedeutet nicht, Sexarbeit als Gipfel der Selbstbestimmung darzustellen.
In der Diskussion um Sexarbeit werden oft zwei unterschiedliche Fragen miteinander vermischt- einerseits, ob Sexarbeit legitim ist, andererseits ob Prostituierte Spass an ihrem Job haben. Die finanzielle Motivation der meisten Sexarbeiterinnen wird manchmal als Vorwand genommen, um ihnen selbständiges Handeln abzusprechen und die Bekämpfung von Prostitution zu fordern. Man kann Sexarbeit natürlich aus der Perspektive kritisieren, dass etwas, das man idealerweise aus purer Lust macht, hier als (oft einseitige) Geld-gegen-Sex Transaktion vorgenommen wird. Wenn es jedoch darum geht, was Sexarbeiterinnen wollen und brauchen, wie man sie behandelt und bewertet, dann sollte man nicht aus dem Utopia herab argumentieren, sondern aus der Realität. Diese Realität beinhaltet Wohlstandsgefälle zwischen Staaten, demographischen Schichten und Geschlechtern, und Menschen, die versuchen aus ihrer zum Teil prekären Situation das Beste zu machen. Sie sollten dafür nicht bemitleidet und stigmatisiert, sondern anerkannt und, soweit erwünscht, unterstützt werden. Sexarbeit zu verteufeln nützt gerade denjenigen Personen, welche aufgrund von finanzieller Not kaum Verhandlungsmacht haben, am allerwenigsten.