Sonntag, 27. Juni 2010

Schaden allgegenwärtige Missbrauchsschlagzeilen den Kindern?

Ein Bekannter erzählte mir, dass er sich schwammig daran errinnert als Kind von seinem Vater missbraucht worden zu sein. Ich war sehr betroffen und sagte ihm, wie leid es mir für ihn tue. Er meinte allerdings es bräuchte mir nicht Leid zu tun, es hätte ihm eigentlich gefallen. Was ihn lange belastet hätte sei nicht der Missbrauch selbst, sondern das Schuldgefühl abnormal zu sein, weil er es als angenehm empfunden hatte. Ich hatte mir damals kaum näher Gedanken darüber gemacht, abgesehen davon wie schlimm es sein muss.

Susan Clancy ist eine Psychologin, welche Forschungen zum schwierigen Thema Kindesmissbrauch durchgeführt hat. Dabei kamen Ergebnisse hervor, welche ihr zahlreiche Hassmails, aber auch dankbare Mails von Missbrauchsopfern bescherten: In den meisten Fällen erleben Missbrauchsopfer kein Trauma, sondern erst im Erwachsenenalter psychische Probleme. Ein Trauma ist ein schwerer Schaden, der unmittelbar aus einem Ereignis resultiert. Einen solchen erlebten missbrauchte Kinder überwiegend nur, wenn Penetration, Schläge, und andere schmerzhafte Gewalt vorkam.
In den meisten Fällen (95%) besteht sexueller Missbrauch jedoch aus Oralsex und anderen nicht-schmerzhaften Berührungen. Die Opfer von dieser Art des Missbrauchs realisierten oft erst im Erwachsenenalter dass sie benutzt worden waren, und entwickelten als Folge psychische Probleme. Als Kind waren sie meistens verwirrt und gestresst, manchmal gefiel es ihnen aber. Andere Forscher hatten auch schon darauf hingewiesen, wurden jedoch ignoriert.
Link zum Artikel


Ich halte es für sehr wichtig Betroffenen mitzuteilen, dass sie nicht abnormal sind wenn sie den Missbrauch an sich nicht als so belastend empfunden haben, wie es meistens dargestellt wird. Ich habe in der ganzen Debatte diesen Aspekt mit Ausnahme dieses Zeitungsartikels noch nie thematisiert gesehen, obwohl er für die Opferhilfe von höchster Relevanz ist. (Es sollte ziemlich selbstverständlich sein, trotzdem erwähne ich hier doch noch, dass ich in keinster Weise Kindesmissbrauch bagatellisieren möchte.)

Dies setzt jedoch voraus dass man akzeptiert, dass auch Kinder sexuelle Gefühle haben können. Selbstverständlich anderst als Erwachsene, aber eben nicht nur "Neugierde", sondern auch Lust. Doktorspiele werden heute berechtigterweise als normal angesehen, jedoch wird praktisch immer nur Neugierde als Grund dafür genannt.

Es ist wichtig, dass Missbrauch thematisiert wird. Auf der anderen Seite scheint es heute nicht nur als ein Thematisieren, sondern eine regelrechte Hysterie, die einen gesunden Umgang mit der kindlichen Körperlichkeit zu beeinträchtigen droht. Man erinnere sich an den Fall aus den USA, wo ein Junge seiner Schwester beim urinieren half, und anschliessend abwischte. Es gab eine mediale Hetzjagd auf ihn wegen angeblichem Missbrauch. Alle Berührungen werden nur noch durch die Brille des Missbrauchs gesehen. Eine Broschüre für Kindererziehung empfahl, bei der Körperpflege von Säuglingen den Genitalbereich nicht demonstrativ zu umgehen, sondern auch zufällige Berührungen dort zuzulassen, damit das Kind nicht von kleinauf lernt, dass "dort unten" etwas schlechtes ist. Die Formulierung war ähnlich wie beim Link. Die Broschüre musste vom Markt genommen werden, weil sich so viele empörten, dies fördere den Missbrauch.

Thoughts?

3 Kommentare:

rain hat gesagt…

Nicht das erste Mal kann ich über den "großen Bruder" auf der anderen Seite des Teiches nur den Kopfschütteln. Was da abgeht in Sachen Doppelmoral, ist nicht mehr nur einfach skuril, das ist einfach nur noch KRANK.

Man darf ja nicht vergessen, dass wegen so Sachen wie "der Schwester beim urinieren hefen" Kinder dort normalerweise eingesperrt werden, wenn sie nicht gerade das Glück medialer Publizierung "genießen".

Allerdings sind auch wir hier in D keineswegs ein Musterland, was den Umgang mit Sexualität, Nacktheit usw. im Kontxt mit Kindeserziehung angeht.

Juu hat gesagt…

Hm, also erstmal darf ich sagen, als im "Osten" aufgewachsenes Kind konnte ich keinen problematischen Umgang mit kindlicher Nacktheit bemerken. So gesehen waren nackte Kinder beim Planschen oder Baden vollkommen asexuell und damals hat man auch noch, ohne drüber nachzudenken, Fotos vom nackigen Nachwuchs geschossen.

Aber zum eigentlichen Post: Das ist ein wirklich guter Punkt, den du da ansprichst. Aus der Perspektive haben es wahrscheinlich bisher nur wenige gesehen. Trotzdem frage ich mich, welche Konsequenzen es hat, dass ein Teil der Missbrauchsopfer beim eigentlichen Missbrauch kein Trauma erlitten hat und es als angenehm empfand.

Schließlich ist es immernoch FALSCH was die Täter getan haben. Zwischen Erwachsenen und Kindern ist und bleibt nunmal ein Unterschied an Macht und sexueller Erfahrung. Für mich klingt es halt danach, dass wenn man es damals schön oder nicht schlimm fand, die schlechten Gefühle nur daher kommen, dass immer wieder die Schwere dieses Verbrechens in den Medien zum Ausdruck kommt und was für schwerwiegende Folgen es für die Opfer hat.

Aber die Spätfolgen, die die Betroffenen erleiden, sind meiner Meinung nach berechtigt und haben wenig mit fremdinduzierter Scham zu tun. Es wird einem nur plötzlich klar, dass man benutzt wurde, dass derjenige, dem man vertraut hat, einen ausgenutzt hat, und diese Gefühle sind schlecht und sollten so wie sie sind wahrgenommen und angemessen aufgearbeitet werden. Um eine Analogie zu ziehen: wird man vergewaltigt, ohne die Tat mitzubekommen (Schlaf, Drogen, etc.) dann erlebt man auch kein Trauma, dennoch ist es berechtigt, dass man sich danach benutzt und schlecht fühlt.

Naja, lange Rede kurzer Sinn. Die Konsequenz, die ich daraus ziehen würde, ist nicht nur, dass man den Opfern sagen sollte, dass positive sexuelle Gefühle niemals etwas Schlechtes sind, sondern auch, dass man ihnen in dem Dilemma zwischen eigentlich positiven, kindlichen Gefühlen und der späteren Einsicht des Missbrauchs hilft und Bewältigungsmöglichkeiten bietet.

Sorry für den langen Kommentar, aber die Thematik hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht.

Sina hat gesagt…

Ach was, lange Kommentare sind gut, vor allem wenn sie noch Inhalt haben.

Gemäss der Studien leiden die Opfer später vor allem wegen dem Gefühl benutzt geworden zu sein, jedoch hält die Scham vor dem angeblichen abnormal sein sie oft zurück, Anzeige zu erstatten (siehe Interview).
Ich meine natürlich auch nicht, dass man nun sagen soll "eigentlich sei Missbrauch ja gar nicht so schlimm".
Dass einige Kinder es zum Tatzeitpunkt als angenehm empfunden haben sollte meiner Meinung nach auch keine Konsequenzen auf die Bestrafung der Täter haben, da die Tat immernoch falsch ist.

Ich konnte zu meiner Zeit auch keine Probleme mit Nacktheit entdecken, allerdings habe ich das Gefühl dass es in den letzten Jahren vermehrt solche merkwürdigen Einzelfälle gibt. Zugegebenermassen vor allem in den USA und nicht hierzulande

http://abcnews.go.com/GMA/arizona-couple-suing-bathtime-photos-prompt-wal-mart/story?id=8624533