Samstag, 19. Oktober 2013

Repression in Zürich












Die Langstrasse im Kreis 4 von Zürich ist schon seit jeher ein Rotlicht- und Partyviertel- wohl schon länger, als ich auf der Welt bin. Ich selbst gehe auch ab und zu dort feiern. Wie es sich für ein Ausgeh-Viertel gehört, ist oft bis spät in der Nacht viel los. Und nun geht die Stadt gegen die dort ansässigen Salons und Sexworker- Wohnungen vor, weil die Bau- und Zonenverordnung (eigentlich schon seit 12 Jahren) die sexgewerbliche Nutzung von Wohnungen verbietet, wenn der Wohnanteil über 50% beträgt. Die Räumungen werden nach Aussagen einer ehemaligen Sozialarbeiterin und derzeitigen Bardame Auswirkungen auf das ganze Quartier haben. Coiffeursalons oder Kleiderläden, in denen viele Prostituierte einkauften, müssten schliessen. Kontaktbars ebenso. Ich stimme hier dem Kommentator auf dem Tages-Anzeiger zu:

"Und in spätestens zehn Jahren, wird es an der Langstrasse so öde sein, wie es im Dörfli bereits der Fall ist. Hauptsache die Touris schreiben im Trypadvisor anständige Kommentare über Zürich. Der Puritanismus hält Einzug in der Stadt. Diese angeblichen Aufwertungen sind doch nichts anderes, als die Zerstörung eines Charakters, der sich während vieler Jahrzehnte gebildet hatte."

Auch die Sozialarbeiter/innen der Heilsarmee, Stadtmission Zürich und Fachstelle FIZ sind alles andere als begeistert:

"Für Prostituierte wird es in Zürich immer gefährlicher – das sagen mehrere Sozialarbeiterinnen, die mit den Frauen zusammenarbeiten. Der Grund: Seit der neuen Prostitutionsgewerbe-Verordnung sind die Anforderungen gestiegen, um einen Salon zu eröffnen, in dem Liebesdienste angeboten werden. Verschärft wird die Situation dadurch, dass in mehreren Häusern im Quartier nicht mehr angeschafft werden darf. Darum müssen sich die Prostituierten neue Arbeitsorte suchen. Viele der Dirnen seien verzweifelt, sagt Christine Hauri von der Rahab-Arbeit der Heilsarmee. «Die Frauen wissen im Moment nicht, wo sie hinsollen», sagt sie. Und hat eine Lösung parat. «Warum wird nicht ein Strassenstrich im Kreis 4 zugelassen? Lange nicht alle Vertriebenen haben eine neue Bleibe gefunden.» Regula Rother, Leiterin der Zürcher Stadtmission, sieht die Sache ähnlich: «Gut finden wir die Entwicklung nicht.» Auch sie hält einen Strassenstrich im Kreis 4 für eine gute Idee."

Generell gebe es durch die neuen Regeln neue Probleme. «Die Auflagen werden immer höher», sagt Hauri. «Die Polizeipräsenz und die Bussen nehmen ständig zu und es gibt immer weniger Salons und Zimmer.» Dirnen habe es deswegen aber nicht weniger.
Glaubt man Rother und Hauri, hat die Stadt über das Ziel hinaus geschossen. «Wenn man darauf hinwirken will, dass die Strassenprostitution verschwindet», fragt Rother, «macht es dann Sinn, die Salonprostitution gleichzeitig einzugrenzen?» "

Die Regeln, welche zur Schliessung der Salons und Zimmer führen, sind vor allem baurechtliche Auflagen, und nicht solche welche effektiv die Arbeitssituation verbessern sollen. Rolf Vieli, der im Auftrag der Stadt an der "Aufwertung" (= steril, teuer und langweilig machen) des Viertels arbeitet, sagt man müsse auch die Interessen der Familien mit Kindern bedenken. Da frage ich mich, wieso eine Familie in ein Ausgeh- Viertel zieht. Denn am meisten Lärm und Probleme machen sicher nicht die Sexarbeiterinnen, sondern die johlenden Partygängerinnen und Partygänger. Sollen etwa alle alteingesessenen Restaurants, Bars und Clubs für die "Aufwertung" auch geschlossen werden? Wohnraum in Zürich ist knapp, aber für eine Familie mit jungen Kindern gibt es im Umkreis von Zürich zahlreiche günstigere, familienfreundlichere Alternativen.

Nachtrag vom 23.10

Artikel in der NZZ und 20Minuten, welche das Problem bestätigen: Anstatt legale, diskret und reibungslos laufende Indoor-Arbeitsplätze als Ausgleich zur Schliessung des Strassenstrichs zu fördern, werden sie durch schwierige Bewilligungsverfahren und Baurecht eingeschränkt. Bis Ende Jahr läuft die Bewilligungsfrist ab, aber kein einziges Bordell hat eine Bewilligung erhalten. Ich bin für ein einfaches Bewilligungsverfahren mit Überprüfung, welche sicherstellt, dass Sexarbeiterinnen selbstbestimmt, in Sicherheit und ohne Abzocke durch Betriebsinterne "Bussen" und ähnliches arbeiten können. Das Problem ist, dass die (v.a. baurechtlichen) Auflagen oft so unrealistisch gestaltet sind, dass nur Grossbordelle sie erfüllen können. Kleine Bordelle werden dagegen verdrängt. Die selbständige Zusammenarbeit mehrerer Sexarbeiterinnen, ohne aussenstehende Profiteure, wird verunmöglicht. Die Auflagen werden also so streng gestaltet, dass es einem Verbot gleichkommt- und die Sexarbeit wieder in die Illegalität gedrängt.

Keine Kommentare: